Odoo eCommerce: Webshop-Lösung für die die mehr wollen
Webshops gibt es wie Sand am Meer. Neben den klassischen Webhostern wie Strato und 1&1, die zu Kampfpreisen einfache Webshops ermöglichen, buhlen auch eine Vielzahl an eCommerce-Softwareanbietern wie Shopify mit ihren leistungsfähigeren Lösungen um Kunden. Ein Softwarepaket, das eher selten im Zusammenhang mit eCommerce genannt wird, ist das ERP-System Odoo (www.odoo.com). Dies nicht ganz ohne Grund: Für kleinere Webshop ist Odoo in den meisten Fällen wohl eine Nummer zu groß und – in der kostenpflichtigen Version – vor allem zu teuer. Und trotzdem kann Odoo auch für kleinere Projekte interessant sein! Hinter der Fassade des Webshops steckt ein vollumfängliches ERP-System: Lagerbestand managen, Vertrieb optimieren per Sales Funnel, E-Mail Marketing betreiben, Mitarbeiterurlaub verwalten, etc pp. Ein weiterer Vorteil: Als Open Source Lösung steht der individuellen Anpassung des Systems an die eigenen Bedürfnisse nichts im Weg.
Leistungsfähige Verwaltungs- und Abrechnungsplattform
Der Kern von Odoo ist sein Verkaufs- und Abrechnungsmodul. Mit dieser Grundausstattung lassen sich in Odoo Kunden und Produkte verwalten sowie Angebote und Rechnungen erzeugen und managen. Was zunächst nach einfacher Standardkost klingt ist große Küche. Schaut man genauer hin, dann stellt man schnell fest, dass die beiden Module alles mitbringen, um auch umfang- und variantenreiche Produktportfolien sowie arbeitsteilige Verkaufsprozesse zu unterstützen. Bequemerweise lassen sich viele Funktionen bei Bedarf aktivieren und wieder deaktivieren, so dass das System immer nur so umfangreich und damit kompliziert ist wie nötig.
In der Kundenverwaltung können zu jedem Kunden unterschiedliche Adressen erfasst werden, um klar zwischen z.B. Liefer- und Rechnungsadresse zu unterscheiden. Ebenfalls erfasst werden können Standardzahlungsbedingungen und Steuerinformationen, was gerade für innergemeinschaftliche Lieferungen von Wichtigkeit ist.
Noch eindrücklicher sind die Möglichkeiten der Produktverwaltung: Über ein Produktverzeichnis lässt sich eine unbegrenzte Anzahl an Varianten festlegen. Jede Variante kann detailliert spezifiziert und mit einem eigenen Bild versehen werden, wodurch sich Bilder im Webshop dynamisch anzeigen lassen. Produktkategorien können bequem über Tags definiert werden.
Auch beim Thema Rabattierung bietet Odoo große Flexibilität. Über regelbasierte Preise lassen sich Mengenrabatte und über die Preislistenfunktion kundenspezifische Preise festlegen. Selbstverständlich auch, dass zu jedem Produkt Lagerbestand, Lieferanten und Beschaffungskosten festgehalten werden können. In aller Regel werden die Möglichkeiten zur Verwaltung von Produkten die Bedürfnisse eines Webshops übersteigen. Sollte doch mal etwas fehlen, dann lässt sich dies dank Open Source ohne weiteres nachrüsten.
Der Verkaufs- und Abwicklungsprozess läuft in Odoo immer im Dreischritt Angebot -> Verkaufsauftrag -> Rechnung. Das eine Dokument baut auf seinem jeweiligen Vorgänger auf, so das interne Konsistenz immer sicher gestellt ist. Ohne eCommerce Integration lassen sich manuell im Angebotsmodul bequem individuelle Angebote erstellen und dann auch gleich per E-Mail oder postalisch verschicken. Bei Rechnungserstellung werden die Rechnungsformulare mitsamt der entsprechenden Buchungen erzeugt. Dank Schnittstellen zu Banken bzw. Unterstützung diverser Importformate lassen sich die offenen Posten auch automatischen abgleichen. So hat man schnell und unkompliziert die volle Übersicht über die aktuellen Ausstände. Wer eine BWA und OPOS-Liste nach DATEV-Standard haben will, der sollte sich den DATEV-Connector anschauen, der von einem der großen deutschen Odoo Partner angeboten wird.
Auch wenn die Grundstruktur des Odoo Frontends über Jahre hinweg unverändert blieb, bemerkt man den Aufwand, der in den letzten Jahren in die Verbesserung der Benutzeroberfläche der Cloud und Enterprise Version gesteckt wurde. Optik wie Usability haben gleichermaßen profitiert. Die Komplexität der Prozesse und der Datenbankanwendungen bleibt gut hinter der graphischen Benutzeroberfläche verborgen. Gerade im Vergleich mit anderen ähnlichen Lösungen mutet Odoo geradezu modern an.
eCommerce per App
Seine eCommerce-Funktionalitäten erhält Odoo durch zwei weitere Apps, nämlich die Webbuilder und die eCommerce App. Die erste erweitert Odoo um einen Webeditor; die zweite wiederum ergänzt den Webbuilder um ein Modul zur Gestaltung und Verwaltung von Webshops.
Beide Apps interagieren ohne weitere Konfigurationsarbeit absolut reibungslos mit den anderen Apps. So zieht sich der Webbuilder automatisch Kontakt- und Firmendaten für das Impressum und der Webshop greift auf die definierten Produkte und Steuerdaten zu. Sehr praktisch ist die bidirektionale Verknüpfung zwischen Webshop und „Backend“. Im Webshop können Produktdaten on-the-fly angepasst werden. Odoo kümmert sich um die notwendige Anpassung in der Produktdatenbank. Wenn man so will, kann Odoo mit einem Klick auch ein Kundenportal anbieten, über das Kunden ihre Bestellungen verwalten können.
Aus Sicht des Autors hat das Odoo-Team mit dem Webbuilder einen großen Wurf hingelegt. Dank vordefinierter „Building Blocks“, Inline Editing (d.h. die Möglichkeit, direkt in der Webseite Änderungen an Struktur, Grafiken und Text vorzunehmen) und WYSIWYG-Editor ist die Arbeit an der Webseite denkbar einfach und auch ohne Programmiererfahrung machbar. Professionell aussehende Webseiten lassen sich mit ihm innerhalb weniger Minuten im wahrsten Sinne des Wortes zusammenklicken. Wer es gerne etwas genauer mag, kann über den integrierten HTML-Editor direkt am Code arbeiten. Wer also Angst hat, der Editor würde bevormunden oder einschränken, hat damit ein wirksames Gegenmittel.
Was die generelle Handhabung angeht, so muss sich der Odoo Webbuilder in keinster Weise hinter anderen CMS- bzw. Webeditoren verstecken. Die Arbeit geht gefühlt deutlich leichter von der Hand als mit einem WordPress Theme und sticht gegenüber anderen WYSIWIG-Editoren (z.B. WIX) mit seinem reichen Funktionsumfang heraus. Die Arbeit mit den Building Blocks ist schnell verinnerlicht und sämtliche Text- und Bildmanipulationen erfolgen entweder inline oder über übersichtliche Kontextmenüs. Menükaskaden, wie man sie in WordPress Themes erlebt, gibt es im Odoo Webbuilder nicht.
Auch die weiteren Funktionen der Website und der Shop App können sich sehen lassen. Dank des blockbasierten Webseitendesigns ist ein mit dem Builder gebaute Seite unmittelbar responsive, wovon man sich in einer integrierten Vorschaufunktion überzeugen kann. Das Thema Suchmaschinenoptimierung, ohne das kein Webeditor mehr auskommt, ist ebenfalls berücksichtigt. Eine Funktion, die über den allgemeinen Standard eines Webeditors hinaus geht, ist die A/B-Testoption.
Von einem Nutzer hörten wir mal die Klage, dass Odoo doch furchtbar statisch und präskriptiv sei. Das Seitenlayout, Schriftarten und Farben seien nicht editierbar. Dies ist natürlich falsch. Richtig ist, dass das generelle Seitenlayout und Standardschriftarten nicht direkt im Webbuilder änderbar sind, wohl aber per Theme. Davon gibt es im Odoo Theme Store über 50 zum Preis von €0 bis €200. Wenn keines gefällt, dann kann man sein eigenes von Grund auf selbst gestalten oder ein Theme bootstrappen. Ist ein passendes Theme erstmal eingerichtet – vergleichbar mit der Festlegung des Corporate Designs – dann ist der Bau der Webseite im Nu geschehen. Dankenswerterweise muss man sich durch die reibungslose Integration der Apps um das Zusammenspiel von Front- und Backend nicht sorgen.
Odoo ist die Summe seiner Apps
Mit weiteren Apps kann der Odoo Webshop nahezu beliebig aufgebohrt werden. Diese können direkt aus Odoo heraus oder über den App Store installiert werden. Aus eCommerce-Perspektive ist insbesondere die Anbindung unterschiedlicher Logistikanbieter interessant. Darunter natürlich die Giganten DHL und UPS. Für Multi-Channel Vertrieb gibt es ein eBay und ein Amazon Modul. Mit dem Point of Sale Modul kann man Odoo auch direkt als Kassensystem verwenden.
Insgesamt stellt Odoo in seinem App Store über 60 Business Apps zur Verfügung. Seinen Erweiterungsmöglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt. Arbeitspläne, Urlaubsplanung, Mitarbeiterbewertung und Spesenabrechnung sind nur einige der Themen, die Odoo im Personalbereich unterstützt. Durch die VoIP-App verschmelzen Computer und Telefone zu einer Einheit. Anrufe können direkt aus Odoo getätigt werden. Eingehende Anrufe können in Odoo mitsamt Kundenakte geöffnet werden. Weitere Module helfen bei der Projektplanung, der Lagerhaltung und der Fertigung. Die Auswertungs- und Controllingfunktionen der Module Verkauf und Abrechnung können mit dem Modul Accounting deutlich erweitert werden.
Einschränkend muss man hinzufügen, dass App nicht gleich App ist. Zum einen stellt die Odoo S.A. eine große Anzahl an Apps zur Verfügung. Daneben gibt es aber auch solche, die von Odoo Partnern entwickelt und der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Über die Integration in die bereits installierten Module muss man sich bei diesen keine Sorgen machen. Darüber hinaus gibt es noch eine leider etwas unüberschaubare Anzahl an nicht zertifizierten Apps, die von Entwicklungspartnern oder direkt aus der Odoo Community kommen.
Recht teure kommerzielle Versionen – kostenlose Community Version
Wer mit Odoo liebäugelt, kann zwischen drei aktuellen Versionen wählen: eine Cloud Version sowie eine Enterprise und eine Community Version für diejenigen, die die Hoheit über Ihre Daten ungern aufgeben. (Ebenfalls gibt es die Entwicklerplattform Odoo.sh, die hier aber nicht weiter erwähnt werden soll.)
Die Cloud und die Enterprise Version unterscheiden sich weder funktional noch beim Pricing. Die für einen Webshop benötigten Apps kosten in der Cloud und Enterprise Version €50,00 pro Monat. Hinzu kommen pauschal €22,00 pro Nutzer und Monat. Summa summarum sind die Mindestkosten für den eCommerce-Einsatz von Odoo €70,00 pro Monat. An der einfachen Feststellung, dass dies ein stolzer Preis ist, ändert sich auch nicht viel, wenn man bei jährlicher Zahlungsweise runde 2 Monate geschenkt bekommt.
Bei der Cloud-Version übernimmt Odoo das Hosting des Odoo Servers und aller Abhängigkeiten. Auch Backups übernimmt Odoo. Den Nachteil, den man sich damit “erkauft”, ist der Verzicht auf die Nutzung eigener Apps. Es lassen sich nur die offiziellen Odoo Apps installieren. Will man diese Einschränkung nicht, dann muss man auf die – teurere – Entwickler Plattform Odoo.sh wechseln. Bei der selbstgehosteten Enterprise Version hat man diese Einschränkung logischerweise nicht. Dann fällt jedoch der Komfortfaktor weg.
Für Developer – oder auch für preisbewusste Nutzer – gibt es schließlich noch die kostenlose Community Version. Diese kann auf einem selbstgehosteten Server oder bei einem der bekannten Hoster für kleines Geld betrieben werden. Wer die Installation scheut und eine Fertiglösung wünscht, kann diese auch in Form eines datamate Fellows erhalten. Auf diesem ist Odoo bereits installiert und sofort einsatzfähig. Leider hat die Community Version einen Haken: In der Community Version sind nicht alle Apps verfügbar, darunter leider auch die eBay sowie die DHL Schnittstellen. Damit ist die Community Edition leider kein uneingeschränkter eCommerce-Geheimtipp.
Odoo eCommerce: Nicht für jedermann, aber mit interessanten Anwendungsfällen
Auch wenn es Beispiele für kleine Odoo basierte Webshops gibt (z.B. dieser Online-Shop für Cookies aus Berlin), so ist Odoo nicht erste Wahl für kleine eCommerce Projekte. Verantwortlich dafür sind die hohen Nutzungskosten der Odoo Cloud und Enterprise Version im Vergleich zu anderen Webshop-Lösungen. Ebenfalls die Lernkurve, die bei Odoo wohl etwas länger ist als bei anderen Shop Anwendungen.
Interessant wird der Einsatz von Odoo dann, wenn mehr als nur eine eCommerce Lösung benötigt wird. Dann spielt Odoo als originäres ERP-System seine Stärken aus. Die Zahl der Systeme mit einer ähnlichen Erweiterbarkeit lassen sich an einer Hand abzählen. Insbesondere wenn Odoo dazu dient, mehrere andere kostenpflichtige Standalone-Systeme abzulösen, dann kann der Einsatz von Odoo auch aus Kostenperspektive attraktiv werden. Somit ist Odoo vor allem für ambitionierte Startups interessant, die auf Odoo als Business-Komplettlösung setzen.